Die Entwicklung der Fotografie wurde begünstigt durch das wachsende Verlangen der im 19. Jahrhundert florierenden Bourgeoisie nach günstigen und repräsentativen Porträts. Diese anfängliche Domäne der Malerei wurde somit von Beginn an ein klassischer Schwerpunkt innerhalb der Fotografie und machte sie populär, mit dem Nebeneffekt, dass eine Reihe von Malern die sich aufs Porträtieren spezialisiert hatten, erst einmal arbeitslos wurden.

Eine weitere fotografische Anlehnung an die Malerei ergab sich über das öffentliche Interesse an Großbilddarstellungen in Theatern, Gebäuden etc. Hierbei bediente man sich der Technik von Negativ-Collagen. Für das Werk des Schweden Oscar G. Rejlander, Die beiden Lebenswege von 1857, benötigte er sechs Wochen und setzte dreißig Negative ein, die zu einem Gesamtbild montiert wurden.

Ebenso an der Malerei orientiert waren impressionistische oder dem Jugendstil nachempfundene Fotowerke. Um diesen Charakter zu erreichen, wurden zum Teil strukturierte Fotopapiere benutzt, mit Pinselstrichen gearbeitet oder mit Unschärfe variiert.

Während sich in diesen Jahrzehnten die Fotografie noch an der Malerei orientierte, kann man mit Beginn des 20. Jahrhunderts von einem angeregten Austausch und gegenseitiger Inspiration zwischen Malerei und Fotografie sprechen, der bis heute fortgesetzt wird. Beispielhaft seien hier der Surrealismus und Fotografen wie Man Ray und Andre Kertész genannt.

Neben den Bereichen der Sozial-, Stil-, Mode- und Reisefotografie, die ihre eigenen künstlerischen Sphären schufen, entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei Bewegungen, die die Fotografie und die gesellschaftliche Wahrnehmung bis in die Gegenwart hinein nachhaltig prägen sollten: zum einen der Fotojournalismus und zum anderen die Neue Sachlichkeit.

Formal grenzt sich der Fotojournalismus gegenüber der Kunst ab. Sein Anspruch ist es ja Bilder zu schaffen die Objektivität darstellen und die nicht durch subjektive Interpretationen   verklärt   werden   können.   Vom   eigenen   Selbstverständnis   verstanden und verstehen sich die meisten dieser Fotografen aber auch als Künstler, und ihre Aufnahmen werden mehr und mehr in die Museumslandschaft integriert.

Wesentliche Stichpunkte zur Geschichte des Fotojournalismus sind:

  • “Der besondere Augenblick“, wo zum ersten Mal das „Private“ in den Mittelpunkt gerückt wird,
  • die Fotoagentur „Magnum“, mit dem Versuch von FotografInnen und Fotografen wieder die Kontrolle über die eigenen Bilder und Bildaussagen zu erhalten,
  • und Zeitschriften wie der „Stern“ oder „Life“, die maßgeblich zur Verbreitung beigetragen haben bzw. noch dazu beitragen.

Das zweite Genre, das zu Beginn des 20.Jahrhunderts populär wurde, ist bekannt unter Begriffen wie „Neue Sachlichkeit“, „Neues Sehen“ oder auch „Bauhaus- Ästhetik“. Diese Art der Wahrnehmung und Darstellung fand ihren Niederschlag in der Malerei, der Architektur und natürlich auch in der Fotografie.

Hier genießt das Formale Priorität, der Mensch als Individuum spielt nur eine untergeordnete Rolle. Klare Linien, die höchstmögliche Anzahl von Grauwerten und absolute Schärfe zeichnen diesen fotografischen Stil aus. In dieser Tradition der „Neuen Sachlichkeit“ steht die „Subjektive Fotografie“, die u.a. Otto Steinert – Professor an der Essener Folkwangschule – ab den 50er Jahren forcierte. Auch hier steht grafische Klarheit im Vordergrund, Formen der Reduktion bis hin zur völligen Abstraktion werden jedoch auch integriert. Diese Bilder wollen nicht appellieren, nicht agitieren, nicht berichten und nichts aussagen. Sie sind subjektive Wahrnehmungen, die sich gegen jedweden objektiven Anspruch einer Bildaussage wenden.

Ebenso emotionslos sind die Bilddarstellungen des sog. „Trägen Blickes“. Der Mensch als Subjekt wird völlig ausgeblendet, teilweise sogar wegretuschiert und die Zeit quasi angehalten. Übrig bleiben lediglich die kognitiven menschlichen Leistungen.

Den Menschen und sein soziales Umfeld rückt dagegen die so genannte „New British Photography“ in den Vordergrund. Sie sucht nicht den entscheidenden Augenblick, der alles erzählt, sie sucht das davor und das danach. Diese Art der Fotografie ist ironisch, sie zeigt absurde Realitäten auf und versteht sich als Kritik an unserer Konsumgesellschaft. Sie erweckt in dem Betrachter eine Erwartung und fordert zum Dialog.

Neben   den   oben   genannten   Stilrichtungen,   deren   formale   Trennung   in   der   fotografischen Realität nicht immer so nachzuvollziehen ist da die Grenzen vielfach fließend sind, sollen noch kurz drei fotografische Bereiche genannt werden, in denen sich eigenständige Kunstformen entwickelt haben:

  • die VIP-Fotografie, die in der Ambivalenz zwischen dem eigenen künstlerischen Anspruch und   dem  Interesse   der   Kulturindustrie   an   Kultfiguren steht,
  • die inszenierende Fotografie, wo nicht mehr Realität sondern die reflektierte Interpretation der Realität präsentiert wird,
  • und natürlich die von der Digitaltechnik unterstützte Fotografie. Wenn hier Menschen   in   den   Mittelpunkt   gestellt   werden, dann werden sie dabei indifferent   und   zur   amorphen,   geschlechtslosen   Masse   verfremdet. VertreterInnen diese Stiles sind beispielsweise Anthony Aziz und   Sammy Cucher.

 

Literatur (Auswahl)

Barthes, Roland (1989). Die helle Kammer. Frankfurt a. M
Benjamin, Walter (1963). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a. M
Billeter, Erika (1994). Fotografie Lateinamerika. 1860-1993. Bern
Brauchitsch von, Boris (2002). Kleine Geschichte der Fotografie. Stuttgart
Flusser, Vilém (1999). Für eine Philosophie der Fotografie. 9.Aufl. Göttingen
Freund, Gisèle (1979). Photographie und Gesellschaft. Hamburg
Jäger, Gottfried (2001) (Hg.). Fotografie denken. Über Vilém Flusser`s Philosophie der Medienmoderne. Bielefeld
Koschatzky, Walter (1993). Die Kunst der Photographie. Köln/Salzburg/Wien
Krauss, H. Rolf (1998). Walter Benjamin und der neue Blick auf die Photographie. Ostfildern
Kunst- und Ausstellungshalle der BRD (1997) (Hg.)Deutsche Fotografie. Macht eines Mediums 1870 – 1970. Bonn.
Neubauer, Hendrik (1997) (Hg.). 60 Years of Photojournalism. Köln.
Pohlmann, Ulrich (1991). Das Fotomuseum im Münchener Stadtmuseum. Heidelberg
Sontag, Susan (1980). Über Fotografie. Frankfurt a. M.
Stepan, Peter (1999). Fotografie! Das 20. Jahrhundert. München

Close Menu