Vom verschwundenen Leben in der Fotografie

Fotografie ist Teil der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Nur wenn eine Fotografie über ein Ereignis existiert, glaubt man, dass dieses auch tatsächlich stattgefunden hat. Das Hochzeitsfoto beweist das gegebene Eheversprechen. Das Porträt vom debattierenden Politiker im Parlament belegt seine Aussage. Ein Foto vom ölverschmutzten Strand bezeugt das Tankerunglück und die ökologische Katastrophe.

Dabei ist jede Fotografie nur, wie der französische Philosoph Paul Virilio es betont, „die Unterbrechung eines verborgenen Bewegungskontinuums, der Stillstand einer Bilderwelt“. Nimmt man zum Beispiel eine Serie von dreizig Aufnahmen, belichtet im Mittel mit einer sechzigstel Sekunde, so ergibt sich daraus nicht mehr als mehr als eine halbe Sekunde Ausschnitt aus dem wahrgenommenen Leben.

Alles vor und nach der Fotografie ist scheinbar verschwunden. Über die Bedingungen der Aufnahme, das Entstehen des Auckenblicks, das Drumherum zum gewählten fotografischen Ausschnitt, den emotionalen Beziehungen zwischen dem Fotografen und dem fotografierten Objekt, erzählt das Foto nichts.

Und doch üben die unbewegten Bilder oft eine eigentümliche Fazination aus. Man sagt ihnen sogar nach, dass sie Geschichten erzählen können. Mit dem Hochzeitsfoto erinnert man sich vielleicht an den gemeinsamen Liebesakt. Das Porträt vom Politiker kann auch von seinen Lügen erzählen und mit dem Bild vom ölverschmutzten Strand wird man gegenbenfalls daran erinnert, dass die Preise auf dem Fischmarkt wieder gestiegen sind und das ehemals üppige Fischangebot schwindet.

Fotografien konstruieren also nicht nur den statischen Raum des Abgebildeten. Sie erzeugen auch eine Zeittiefe, die sich als Geschichte in den Gedächtnissen der Menschen realisiert, die das fotografische Bild betrachten. Und sie können so etwas wie ein diskursiver Knoten sein, weil das was sich mit dem fotografischen Text manifestiert, frei assoziert und mit eigenen Bedeutungszuweisungen verbunden werden kann.

Diese Dynamik der Fotografie veranlasste Paul Virilio zu der Aussage: „Wenn es tatsächlich eine Kunst gibt, bei der […] der Betrachter das Kunstwerk überhaupt erst erschafft, dann ist die Fotografie diese Kunst!“. Während also auf der einen Seite mit dem Fotografieren, Leben aus der Fotografie verschwindet, wird es auf der anderen Seite mit dem Lesen der Fotografie neu geschaffen. Fotografie ist somit gleichzeitig destruktiv wie konstruktiv. Sie ist Zerstörung und Schöpfung in Einem.

Fotografie und Kunst 

  1. Einleitung 

128.000,00  DM  für  eine  Reihe  von  Fotoporträts  zu  bezahlen,  hat  sicherlich  das  Vorstellungsvermögen der Mehrzahl der LeserInnen überschritten, die im November 2000  den Aufmacher  „Rekordpreis  für  Riefenstahl-Fotos“  (o.V.  In:  Rheinische  Post  vom 06.11.2000) über eine kurz zuvor stattgefundene Auktion lesen konnten.

Nun   könnten   besagte   LeserInnen   die   Höhe   des   Zuschlags   einmal   dadurch   entschuldigen,  dass  sie  annehmen,  bei  den  Fotografien  handelt  es  sich  um  besonders  wertvolle  historische  Dokumente.  Zum  anderen  könnte  die  Hypothese  gebildet werden, dass es sich bei der im Jahre 1902 geborenen Fotografin um eine schon  zu  Lebzeiten,  wenn  auch  umstrittene,  gewordene  Legende  handelt,  was  einen Extra-Sammler-Preis-Bonus rechtfertigen dürfte.

Doch  die  Fotoschüsse  datieren  aus  den  1960er  Jahren  und  sind  damit  historisch  gesehen sicherlich nicht besonders wertvoll. Des Weiteren erzielten die Riefenstahl-Exponate  nicht  einmal  den  Höchstpreis  auf  der  oben  genannten  Auktion.  Für  143.000,00  DM  wechselte  ein  Konvolut  mit  22  Motiven  des  1995  gestorbenen  Fotografen Peter Keetman den Besitzer.

Wer  glaubt,  dass dies Eimaligkeiten und zufällige Preishöhepunkte  sind,  der  irrt.  Die  zeitgenössische  Fotografie  „Paris,  Montparnasse“  des  deutschen  Andreas  Gursky  erzielte  auf  einer  New  Yorker  Versteigerung  im  Jahr  2002  die  wohl  nur  vorläufige Rekordsumme von 540.000,00 US-Dollar. Eine Fotoserie über Hochöfen des  Ehepaares  Bernd  und  Hilla  Becher  schnitt  mit  140.000,00  US-Dollar  auf  der  gleichen Auktion dagegen vergleichsweise bescheiden ab.

Offensichtlich  haben  sich  Fotografien  als  Kunstobjekte  etabliert.  Dass  Fotografie  ebenso   gesellschaftlich   als   Kunstform   akzeptiert   ist,   zeigen   die   unzähligen   Fotoausstellungen  in  kleinen  und  großen  Galerien  sowie  die  Exhibitionen  in  den  namhaften  Museen.  Allein  für  den  Monat  Januar  2003  weiß  die  renommierte  Deutsche  Gesellschaft  für  Photographie  e.V.  insgesamt  28  deutsche  „First-Class-Adressen“,  wie  die  Berlinische  Galerie,  das  Essener  Museum  Folkwang  oder  das  Hamburger  Museum  für  Kunst  und  Gewerbe  zu  nennen,  wo  namhafte  Fotografen  ihre Exponate ausstellen (www.dgph.de).

Dass dies nicht immer so selbstverständlich und die Fotografie als ein Medium  und eine  Form  innerhalb  der  Kunst  sehr  umstritten  war,  macht  folgendes  Zitat  aus  der  Norddeutsche   Allgemeine  Zeitung von   1886   deutlich:   „Die   photographische   Maschine speit ihre nach Milliarden zählenden Produkte aus, und diese lagern sich wie  ein  Heuschreckenschwarm  vernichtend  auf  das  blühende  Feld  der  Kunst,  d.h.  nicht  allein  dadurch,  daß  ihre  Produkte  denjenigen  der  Menschenhand  Konkurrenz  machen  und  sie  erdrücken,  sondern  sie  schädigt  auch  direkt  durch  ihr  Wesen  die  Kunst“ (Zit. nach: Brauchtisch 2002, 12).

Es stellt sich also die Frage, was waren eigentlich die entscheidenden Impulse, die der   Fotografie   ihren   Weg   ins   Museum   ebneten   und   damit   zur   breiteren   gesellschaftlichen Akzeptanz der Fotokunst führten?

2.  Fotografie und Kunst 

Direkt  mit  der  Erfindung  der  Fotografie  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  wurde  die  Debatte  um  ihren  Kunststatus  losgetreten  und  in  ähnlichen  Varianten  wird  sie  bis  heute, wenn auch nicht mehr so vehement,  fortgeführt. Kriterien,   die   den   Nicht-Kunst-Status   belegen   sollen   und   sollten,   sind   im   Wesentlichen:

1. die triviale Nachahmbarkeit,

2. Banalisierung und Auslöschung von Besonderem und

3. die rein handwerkliche Reproduzierbarkeit.

Die veränderte Art des Sehens, die subjektive Wahrnehmung, die visuelle Kraft oder der differenzierte  Naturalismus,  haben  die  Fotografie  für  die  Befürworter  jedoch  schnell zu einer eigenständigen Kunstform gemacht.

Andere  dachten  sogar  noch  einen  Schritt  weiter  und  schrieben  zumindest der  elektronischen Fotografie, dem synthetischen Bild, die Möglichkeit der totalen Kunst zu:  „So  überwindet  das  Neue    Foto  nicht  nur  die  traditionelle  Einteilung  der verschiedenen  Kunstformen  (es  ist  Malerei,  Musik,  Literatur,  Tanz  und  Theater, alles in einem), sondern es beseitigt auch die Unterscheidung zwischen den >Zwei Kulturen< (es ist sowohl Kunst als auch Wissenschaft). Damit macht es eine totale Kunst  möglich,  die  Wagner  niemals  erträumen  konnte“  (Flusser  1986.  Zit.  n.  Jäger  2000, 23).

Im   allgemeinen   Bewusstsein   war   die   Fotografie   jedoch   noch   Mitte   letzten  Jahrhunderts „nicht mehr und nicht weniger als ein technisches Medium mit einiger wirtschaftlichen  Bedeutung,  mit  dessen  Hilfe  man  Erinnerungen  festhalten  konnte  und  das  in  Wissenschaft  und  Praxis  zur  Erfüllung  bestimmter  Aufgaben  eingesetzt  wurde“ (Kraus 1998, 48).

Erst  in  den  1960er  Jahren  veränderte  sich  die  gesellschaftliche  Wahrnehmung  hierzu grundlegend.  Maßgeblichen Anteil an der neuen Blickrichtung und damit der breiten   gesellschaftlichen   Akzeptanz   der   Fotografie   als   Kunst,   außerhalb   der   fotografischen      Gemeinschaft      natürlich,      hatten      im      Wesentlichen      drei      gesellschaftlichen Gruppen: die Sammler, die Künstler und die Wissenschaftler.

2. 1.  Die Sammler 

Erste    Bemühungen „Photographische    Erzeugnisse“  zu sammeln und zu dokumentieren  setzten  schon  um  1880  ein.  Dieses  Interesse  war  jedoch  vom  „Typus  des  heimatgeschichtlich-zeitdokumentarischen,  des  technik-geschichtlichen  und des kunstgewerblich orientierten Fotomuseums“ (Pohlmann 1991, 8) und, auch in  den  nachfolgenden  Jahrzehnten,  auf  einige  wenige  Sammler  und  Museen  beschränkt.

Erst ab den 1960er Jahren gewann das Sammeln von so genannter Photographica, von historischen fotografischen Zeugnissen aller Art, eine breitere Basis. Bekannte Sammlerklubs, die    in    diesem    Zusammenhang    entstanden,    sind    z.B.  die Photographic Historical Society of New York oder der deutsche Club Daguerre.

Obwohl  sich  das  Sammelinteresse  überwiegend  auf  technische  Produkte  und  nur  zum     geringeren     Teil     auf     Fotografien     konzentrierte,     so     weckte     die     Sammelleidenschaft  jedoch  auch  das  Interesse  an  zeitgenössischer  Fotografie. 1969  entstand  in  den  USA  die  erste  Verkaufsgalerie  für  Fotografien.  Vier  Jahre  später waren es schon 350 (vgl. Kraus 1998, 55).

Wenn  auch  viele  der  in  dieser  Zeit  entstanden  Fotogalerien  wegen  mangelnder  Verkaufserfolge  wieder  vom  Markt  verschwanden,    so  gab  diese  Bewegung  doch  den entscheidenden Impuls die Fotografie neu zu bewerten.

2.2 .   Die Künstler 

Eine der ersten offiziellen Anerkennungen fand die Fotografie gegen Ende des 19.  Jahrhunderts in Russland.  Hier wurde sie „von der Akademie der Schönen Künste nobilitiert,  den  anderen  bildenden  Künsten  gleichgestellt  und  zu  den  offiziellen  Ausstellungen zugelassen“   (Brauchtisch   2002,   79).   Doch   diese   Anerkennung   währte  nicht  lange.  Mit  der  Oktoberrevolution  wurde  Kunst  in  den  Dienst  der  Revolution und ihr Stellenwert insgesamt zur Disposition gestellt. In den extremsten politischen   Positionen   wurde   der   Künstler   „allein   durch   seine   Existenz   zum   Staatsfeind“ (Brauchtisch 2002, 113).

Fotografie und Malerei haben sich in ihrer gemeinsamen Geschichte immer wieder gegenseitig  inspiriert,  jedoch  erst  die  Einbeziehung  der  Fotografie  als  Medium  in  avantgardistische  Kunstformen  zu  Ende  der  sechziger  und  Anfang  der  siebziger  Jahre, ebnete ihr den Weg zur breiteren musealen Akzeptanz.  Dies geschah in drei Schritten:

–  Die  ersten  waren  die  Pop-Artisten.  Sie  ersetzten  die  Realität  durch  ein Bild  von  der  Realität.  Trägermaterialien  waren  hierfür  in  der  Regel    Fotografien,  Abbildungen  aus  Zeitschriften  oder  anderen  Drucksachen,  die  dann  grafisch  oder durch Drucktechniken entfremdet wurden.

– Bei Happenings, die das Ziel hatten Leben und Kunst zu verbinden, wurde die Fotografie  zunächst  nur  als  Dokumentation  des  künstlerischen  Ereignisses  eingesetzt.  Im  weiteren  Verlauf    drehte  sich  das.  Das  Rohmaterial,    die  fotografische     Dokumentation     wurde     eigenständiges     Kunstwerk     des     Happenings.

–  In  der  Concept-Art,  die  sich  auf  die  dem  Kunstwerk  zugrunde  liegende  Idee  beschränkt, d.h.,  das Kunstwerk muss nicht mehr realisiert werden, wurde die Fotografie   dann   als  Transportmittel   von   Ideen   und   Trägermaterial   von   Informationen benutzt.

Wenn  auch  diese  Entwicklungen  schon  ab  den  späten  fünfziger  und  frühen  sechziger  Jahren  stattfanden,  so  setzte  ihre  Aufarbeitung  erst  in  den  siebziger  Jahren ein. Die Kunstwelt entdeckte die Fotografie als ein Medium für die Kunst.  Die fotografische Gemeinschaft ignorierte zunächst diesen Zugriff, lehnte ihn später ab,  um  dann  schließlich  alle  eigenen  frei  geschaffenen  Produktionen  als  Kunst  zu  erklären.  Die  in  den  darauf  folgenden  Jahren  einsetzende  Debatte  zwischen  Fotografen  und  Künstlern  lässt  sich  unter  den  Titel  „Fotografie  als  Kunst“  –  „Kunst  als   Fotografie“   subsumieren   und   wird   bis   heute,   wenn   auch   nicht   mehr   so   vehement, fortgeführt.

So   sind   die   einen   froh,   dass   ihnen   „Eine   Kunstproduktion,   die   sonderbare   künstlerische  Blüten  treibt  und  vielfach  nur  aus  den  Bedingungen  des  >Kunst<- Markts selbst zu erklären ist“ (Stepan 1999, 8), bis vor kurzem erspart geblieben ist, während  die  anderen  es  nicht  mehr  als  revolutionär  ansehen,  „…  Bilder  um  ihrer  selbst  willen  zu  machen,  und  stellen  deshalb  auch  ihren  Kunstanspruch  in  Frage“  (Neusüss, Heyne. Zit. n. Kraus 1998, 67).

2.3.   Die Wissenschaftler 

Dafür,  dass  die  Fotografie  zu  einer  wissenschaftlichen  Disziplin  wurde,  bestehen  nach  Kraus,  und  der  lehnt  sich  dabei  methodisch  an  das  Vorgehensschema  von  Thomas S. Kuhn – Der Weg zur normalen Wissenschaft – an (vgl. Kraus 1998, 68 ff.), vier Gründe:

1.    Es  lag  ein  Anstoß  von  außen,  also  außerhalb  der  fotografischen  Gemeinde  vor. Dies waren zunächst die Sammler und Künstler, die dann das Interesse der Wissenschaften weckten.
2.   Einen  weiteren  Blickwechsel    leitete  die  Kunstgeschichte  ein,  die  sich  intensiv der Fotografie annahm.
3.   Durch  Schriften  wie  von  Walter  Benjamin,  Gisèle  Freud  und  Siegfried  Kracauer  wurde  der  Weg  der  Fotografie  zu  einer  „normalen  Wissenschaft“  weiter geebnet.
4.   Mit dem „geschichtlichen Zufall“, den Ereignissen der 1968er Jahre und der damit  einhergehenden  Kritik  an  überkommenden  bürgerlichen  Kunst-  und  Kulturvorstellungen, wurde ein neuer Blick auf die Fotografie eingeleitet. Krauss  fasst  zusammen,  dass  somit  alle  Voraussetzungen  für  den  Übergang  der  Fotografie  von  einem  vorwissenschaftlichen  Status  zu  einem  wissenschaftlichen  Zustand in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gegeben waren. In den darauf folgenden Jahren ermöglichen Verlage wie Schirmer/Mosel ab 1974,

Zeitschriften  wie Kritische  Berichte,  das  Mitteilungsorgan  des  Ulmer  Vereins  für Kunstwissenschaft,  ab  1973,  die  seit  1977  in  England  erscheinende  Zeitschrift  History  of Photograph und  ab  1981  die  deutsche  Zeitschrift  Fotogeschichte,  in  ihren       Publikationen       grundlegende       Diskussionen       zur       fotografischen   Auseinandersetzung  und  leiteten  damit  einen  wissenschaftlichen  Diskurs  über  Fotografie als Kunst und als kulturelles Phänomen ein.

Das  Jahr  1982  markiert  nach  Kraus  schließlich

„die  endgültige  Anerkennung  der  Photographie  als  ein  eigenes,  wenn  auch  interdisziplinäres  wissenschaftliches  Forschungsgebiet.  Öffentlich  sichtbar  wird  dies  an  zwei  Veranstaltungen.  Die  erste  führte  die  Sammler  und  Autodidakten  aus  der  photographischen  Gemeinschaft  auf  der   einen,   und   die   Wissenschaftler   und   Theoretiker   auf   der   andern   Seite   zusammen. Es waren die vom Historischen Museum in Frankfurt und der Zeitschrift Fotogeschichte organisierten 1. Frankfurter Fotogespräche, die am 22. und 23. Mai 1982 in Frankfurt stattfanden. Die zweite war die am 18. und 19. November 1982 im Zentrum   für   interdisziplinäre   Forschung   in   Bielefeld   …   veranstaltete   Tagung

Geschichte   und   Theorie   photographischer   Bildleistungen   als   eigenständiges   Forschungsgebiet.  Sie  versammelte  Fachwissenschaftler  der  unterschiedlichsten  Disziplinen zu einem ersten gemeinsamen Gespräch, ‘um so wenigstens etwas Transparenz  in  die  unübersichtliche  Vielfalt  der  Forschungsansätze  zu  bringen‘ “  (Kraus 1998, 75).

3.   Schlussbemerkung

Als  Walter  Benjamin  in  den  1930er  Jahren  schrieb:  „Der  Streit,  der  im  Verlauf  des  neunzehnten  Jahrhunderts  zwischen  der  Malerei  und  der  Photographie  um  den  Kunstwert      ihrer   Produkte   durchgefochten   wurde,   wirkt   heute   abwegig   und   verworren“  (Benjamin  1963,  22),  tat  er  dies  aus  einer  dialektisch-materialistischen  Perspektive  heraus,  mit  einem  Verständnis  von  Kunst,  die  das  jeweils  historische  Ergebnis   des   Wechselverhältnisses   von   realer   Basis   und   gesellschaftlichem   Überbau  ist.  Dabei  hoffte  und  erwartete  er  sicherlich,  dass  dieser  Streit  um  das  „kultische  Fundament“  (Benjamin  ebd.)  in  der  heutigen  Zeit  so  nicht  mehr  geführt  werden würde, bzw. bräuchte.

In der Tat wirkt dieser Streit aus einer solchen Perspektive wie die Debatte um die Frage:  wie viele Engel passen auf eine Nadelspitze?  Susan  Sontag  (1980,  124)  formulierte  dies  so:  „Wenn  Fotografen  heute  verneinen,  daß sie Kunstwerke schaffen, so deshalb, weil sie überzeugt sind, etwas Besseres als  Kunst  zu  produzieren.  Ihre  Dementis  sagen  uns  mehr  über  den  desolaten Zustand  aller  Begriffe  von  Kunst,  als  über  die  Frage,  ob  die  Fotografie  eine  Kunst  ist“.

Der    Zustand    von    Begriffen    über    Kunst    ist    jedoch    auf    die    jeweiligen    gesellschaftlichen      Wahrnehmungen      und      den      entsprechenden,      oder     widersprechenden  Bedeutungszuweisungen  zurückzuführen.  Nicht  die  Begriffe  von  Kunst   sind   desolat,   sondern   die   materiellen   Bedingungen   hierfür,   d.h.   die   gesellschaftlichen Voraussetzungen.

Wenn für zeitgenössische Fotografien wie o.g. mehr als eine halbe Million US-Dollar gezahlt   werden,   dann   funktioniert   dies   darüber,   dass   diesen   Werken   eine   Bedeutung, oder um bei Benjamin zu bleiben: „Aura“ zugeschrieben wird, die dieser mit der Möglichkeit der technischen Reproduzierbarkeit für überwunden sah.

Literatur

Barthes, Roland (1989). Die helle Kammer. Frankfurt a. M
Benjamin, Walter (1963). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a. M
Billeter, Erika (1994). Fotografie Lateinamerika. 1860-1993. Bern
Brauchitsch von, Boris (2002). Kleine Geschichte der Fotografie. Stuttgart
Flusser, Vilém (1999). Für eine Philosophie der Fotografie. 9.Aufl. Göttingen
Freund, Gisèle (1979). Photographie und Gesellschaft. Hamburg
Jäger, Gottfried (2001) (Hg.). Fotografie denken. Über Vilém Flusser`s Philosophie der Medienmoderne. Bielefeld
Koschatzky, Walter (1993). Die Kunst der Photographie. Köln/Salzburg/Wien
Krauss, H. Rolf (1998). Walter Benjamin und der neue Blick auf die Photographie. Ostfildern
Kunst- und Ausstellungshalle der BRD (1997) (Hg.)Deutsche Fotografie. Macht eines Mediums 1870 – 1970. Bonn.
Neubauer, Hendrik (1997) (Hg.). 60 Years of Photojournalism. Köln.
Pohlmann, Ulrich (1991). Das Fotomuseum im Münchener Stadtmuseum. Heidelberg
o.V. (2000) Rekordpreis für Riefenstahl-Fotos. In: Rheinische Post vom 06.11.2000
o.V. (2003) Fotoausstellungen. http://www.dgph.de (15.01.2003)
Sontag, Susan (1980). Über Fotografie. Frankfurt a. M.
Stepan, Peter (1999). Fotografie! Das 20. Jahrhundert. München

Kleine Geschichte der Fotokunst 

Die Entwicklung der Fotografie wurde begünstigt durch das wachsende Verlangen der im 19. Jahrhundert florierenden Bourgeoisie nach günstigen und repräsentativen Porträts. Diese anfängliche Domäne der Malerei wurde somit von Beginn an ein klassischer Schwerpunkt innerhalb der Fotografie und machte sie populär, mit dem Nebeneffekt, dass eine Reihe von Malern die sich aufs Porträtieren spezialisiert hatten, erst einmal arbeitslos wurden.

Eine weitere fotografische Anlehnung an die Malerei ergab sich über das öffentliche Interesse an Großbilddarstellungen in Theatern, Gebäuden etc. Hierbei bediente man sich der Technik von Negativ-Collagen. Für das Werk des Schweden Oscar G. Rejlander, Die beiden Lebenswege von 1857, benötigte er sechs Wochen und setzte dreißig Negative ein, die zu einem Gesamtbild montiert wurden.

Ebenso an der Malerei orientiert waren impressionistische oder dem Jugendstil nachempfundene Fotowerke. Um diesen Charakter zu erreichen, wurden zum Teil strukturierte Fotopapiere benutzt, mit Pinselstrichen gearbeitet oder mit Unschärfe variiert.

Während sich in diesen Jahrzehnten die Fotografie noch an der Malerei orientierte, kann man mit Beginn des 20. Jahrhunderts von einem angeregten Austausch und gegenseitiger Inspiration zwischen Malerei und Fotografie sprechen, der bis heute fortgesetzt wird. Beispielhaft seien hier der Surrealismus und Fotografen wie Man Ray und Andre Kertész genannt.

Neben den Bereichen der Sozial-, Stil-, Mode- und Reisefotografie, die ihre eigenen künstlerischen Sphären schufen, entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei Bewegungen, die die Fotografie und die gesellschaftliche Wahrnehmung bis in die Gegenwart hinein nachhaltig prägen sollten: zum einen der Fotojournalismus und zum anderen die Neue Sachlichkeit.

Formal grenzt sich der Fotojournalismus gegenüber der Kunst ab. Sein Anspruch ist es ja Bilder zu schaffen die Objektivität darstellen und die nicht durch subjektive Interpretationen   verklärt   werden   können.   Vom   eigenen   Selbstverständnis   verstanden und verstehen sich die meisten dieser Fotografen aber auch als Künstler, und ihre Aufnahmen werden mehr und mehr in die Museumslandschaft integriert.

Wesentliche Stichpunkte zur Geschichte des Fotojournalismus sind:

  • “Der besondere Augenblick“, wo zum ersten Mal das „Private“ in den Mittelpunkt gerückt wird,
  • die Fotoagentur „Magnum“, mit dem Versuch von FotografInnen und Fotografen wieder die Kontrolle über die eigenen Bilder und Bildaussagen zu erhalten,
  • und Zeitschriften wie der „Stern“ oder „Life“, die maßgeblich zur Verbreitung beigetragen haben bzw. noch dazu beitragen.

Das zweite Genre, das zu Beginn des 20.Jahrhunderts populär wurde, ist bekannt unter Begriffen wie „Neue Sachlichkeit“, „Neues Sehen“ oder auch „Bauhaus- Ästhetik“. Diese Art der Wahrnehmung und Darstellung fand ihren Niederschlag in der Malerei, der Architektur und natürlich auch in der Fotografie.

Hier genießt das Formale Priorität, der Mensch als Individuum spielt nur eine untergeordnete Rolle. Klare Linien, die höchstmögliche Anzahl von Grauwerten und absolute Schärfe zeichnen diesen fotografischen Stil aus. In dieser Tradition der „Neuen Sachlichkeit“ steht die „Subjektive Fotografie“, die u.a. Otto Steinert – Professor an der Essener Folkwangschule – ab den 50er Jahren forcierte.

Auch hier steht grafische Klarheit im Vordergrund, Formen der Reduktion bis hin zur völligen   Abstraktion   werden   jedoch   auch   integriert.   Diese   Bilder   wollen   nicht   appellieren, nicht agitieren, nicht berichten und nichts aussagen. Sie sind subjektive Wahrnehmungen, die sich gegen jedweden objektiven Anspruch einer Bildaussage wenden.

Ebenso emotionslos sind die Bilddarstellungen des sog. „Trägen Blickes“.   Der Mensch als Subjekt wird völlig ausgeblendet, teilweise sogar wegretuschiert und die Zeit quasi angehalten. Übrig bleiben lediglich die kognitiven menschlichen Leistungen. Es wird nicht die außergewöhnlichste Ansicht gesucht, sondern die typischste. Vertreter dieses Stiles sind u.a. Gabriele Basilico aus Italien und Bernd Becher von der Düsseldorfer Kunstakademie. Die von ihm, seiner Frau Hilla und von seinen Schülern kreierten Arbeiten sind als „Neue Düsseldorfer Schule“ bekannt geworden.

Den Menschen und sein soziales Umfeld rückt dagegen die so genannte „New British Photography“ in den Vordergrund. Sie sucht nicht den entscheidenden Augenblick, der alles erzählt, sie sucht das davor und das danach. Diese Art der Fotografie ist ironisch, sie zeigt absurde Realitäten auf und versteht sich als Kritik an unserer Konsumgesellschaft. Sie erweckt in dem Betrachter eine Erwartung und fordert zum Dialog.

Neben   den   oben   genannten   Stilrichtungen,   deren   formale   Trennung   in   der   fotografischen Realität nicht immer so nachzuvollziehen ist da die Grenzen vielfach fließend sind, sollen noch kurz drei fotografische Bereiche genannt werden, in denen sich eigenständige Kunstformen entwickelt haben:

  • die VIP-Fotografie, die in der Ambivalenz zwischen dem eigenen künstlerischen Anspruch und   dem  Interesse   der   Kulturindustrie   an   Kultfiguren steht,
  • die inszenierende Fotografie, wo nicht mehr Realität sondern die reflektierte Interpretation der Realität präsentiert wird,
  • und natürlich die von der Digitaltechnik unterstützte Fotografie. Wenn hier Menschen   in   den   Mittelpunkt   gestellt   werden, dann werden sie dabei indifferent   und   zur   amorphen,   geschlechtslosen   Masse   verfremdet. VertreterInnen diese Stiles sind beispielsweise Anthony Aziz und   Sammy Cucher.

Literatur (Auswahl)

Barthes, Roland (1989). Die helle Kammer. Frankfurt a. M
Benjamin, Walter (1963). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a. M
Billeter, Erika (1994). Fotografie Lateinamerika. 1860-1993. Bern
Brauchitsch von, Boris (2002). Kleine Geschichte der Fotografie. Stuttgart
Flusser, Vilém (1999). Für eine Philosophie der Fotografie. 9.Aufl. Göttingen
Freund, Gisèle (1979). Photographie und Gesellschaft. Hamburg
Jäger, Gottfried (2001) (Hg.). Fotografie denken. Über Vilém Flusser`s Philosophie der Medienmoderne. Bielefeld
Koschatzky, Walter (1993). Die Kunst der Photographie. Köln/Salzburg/Wien
Krauss, H. Rolf (1998). Walter Benjamin und der neue Blick auf die Photographie. Ostfildern
Kunst- und Ausstellungshalle der BRD (1997) (Hg.)Deutsche Fotografie. Macht eines Mediums 1870 – 1970. Bonn.
Neubauer, Hendrik (1997) (Hg.). 60 Years of Photojournalism. Köln.
Pohlmann, Ulrich (1991). Das Fotomuseum im Münchener Stadtmuseum. Heidelberg
Sontag, Susan (1980). Über Fotografie. Frankfurt a. M.
Stepan, Peter (1999). Fotografie! Das 20. Jahrhundert. München

Technik

Was ist die Technik eines Fotografen?

Das Auflösungsvermögen seiner Objektive oder die Marke seiner Kameras? Der formale Bildaufbau seiner Fotografien oder die Tricks bei der digitalen Bearbeitung der Bilder?

Sicherlich gehört dies alles auch zur Technik der Fotografie. Und für viele Menschen die sich mit der Fotografie auseinandersetzen, sind diese und ähnliche Themen die entscheidenden, in diesem Zusammenhang zu mindestens.

Andere „Fototechniken“, wie das Gespür für Situationen, das Sehen und Wahrnehmen, die Kunst des Arrangements, das Empfinden von Augenblicken, emphatische Integration in die Umwelt und die Sensibilität in sozialen Situationen, werden in der Regel nicht als solche verstanden.

Oft werden diese „Techniken“ ignoriert und ihre Entwicklung vernachlässigt. Setzen sie doch voraus, dass man sich selbst mit dem Gegenüber, mit der anderen Seite des Objektives auseinandersetzen und ins Verhältnis bringen muss. Und das ist doch das eigentlich Spannende an der Fotografie. Oder nicht?

„Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“ – Rechtsradikale Propaganda und wie man sie widerlegt

Presseinfo:

Ziel des Buches ist die Aufdeckung der nationalistischen und rassistischen Propaganda, mit der im Alltag Stimmung gegen Ausländer gemacht wird und die die heutigen Aktionen rechter Agitatoren begründen und rechtfertigen soll. Noch immer sind die zentralen politischen und juristischen Probleme der Ausländerfrage ungelöst: Ob Deutschland ein Einwanderungsland sein darf oder nicht und unter welchen Voraussetzungen uns Ausländer willkommen sind, bleibt weiterhin offen.

So sind dann die Inhalte des umstrittenen Zuwanderungsgesetzes leider immer noch Spielbälle im Wahlkampf. Aber das politische Poker mit dem Schicksal von Menschen bildet eigentlich nur die Kulisse der Stimmung in der Gesellschaft.

Denn ob die ausländische Nachbarn, ArbeitskollegInnen oder MitschülerInnen auch tatsächlich in Deutschland leben können, entscheidet nicht (allein) das Zuwanderungsgesetz, sondern vor allem auch die deutschen  Nachbarn, ArbeitskollegInnen und SchulkameradInnen, die den legalen Aufenthalt zur Hölle machen können. Schon lange kommen radikale Meinungen sowie rassistische und antisemitische Parolen nicht mehr nur von ganz rechts. – Dem alltäglichen Rassismus begegnet man beim Warten ander Supermarktkasse oder Bushaltestelle und im Alkoholdunst der Stammtische sowieso.

„Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ Rechtsradikale Propaganda und wie man sie widerlegt unternimmt den Versuch, das Lügengebäude der neonazistischen Szene systematisch zu entkräften.

Ausgehend von gängigen Behauptungen und Parolen folgt die Argumentation einem festgelegten Aufbau: Zunächstwird der Versuch unternommen, den Zweck,den Hintergrund und das ideologische Umfeld einer Lüge zu beleuchten. Dann geht es um die Widerlegung mitschlichten Fakten, Zahlen und Statistiken – unemotionalund sachlich.

Die eindrucksvollen Porträtaufnahmen des Fotografen Bernd Schäfer geben dem Buch einen zusätzlichen Reiz. Sie zeigen in Deutschland lebende Menschen unterschiedlicher Herkunft, die ihre ganz eigene Sicht der Dinge schildern. Hinter „dem“ Ausländer und hinter all den rassistischen Verallgemeinerungen wird der Einzelne sichtbar, mit seiner Einstellung, seinen Stärken und Schwächen – einfach ein Mensch. Und darum sollte es bei der Debatte auch gehen: um einzelne Menschen in ihrer jeweiligen Besonderheit. Sicherlich wird man mit solch einem Buch keinen Neonazi bekehren können, aber man wird den Neonazis ihre eigene „Bekehrungsarbeit“ schwerer machen.

Verlag an der Ruhr 2003

ISBN 3-86072-394-4

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